Einst unüberwindbare Talsperre, heute ein Ort des kulturellen Austauschs
Mit ihren 65.000 Quadratmetern Gebäudefläche ist die Franzensfeste die größte historische Anlage Südtirols. 1833 unter Kaiser Franz I. begonnen wurde dieses Meisterwerk österreichischer Kriegsarchitektur nach nur fünf Jahren Bauzeit im Jahr 1838 von Kaiser Ferdinand I. eröffnet. Doch ihre strategische Bedeutung und also ihre Rechtfertigung hatte sie zu diesem Zeitpunkt bereits verloren. Der enorme Aufwand und die horrenden Kosten – umsonst. Die riesige Festung war fortan nur mehr als Depot von Nutzen und erstarrte über eineinhalb Jahrhunderte im Dornröschenschlaf einer streng bewachten Militäranlage.
Als das Militär die Festung 2003 schließlich verließ, galt es für eine Gruppe beherzter Freiwilliger aus Franzensfeste, die Anlage zunächst von der in allen Winkel und Ecken wuchernden Vegetation und von Schutt und Staub zu befreien. Seit 2005 ist die Franzensfeste öffentlich zugänglich und wurde im Zuge der Austragung zweier großer Ausstellungen, die europäische Kunstbiennale Manifesta7 2008 und die Südtiroler Landesausstellung 2009 aufwändig wenn auch zurückhaltend saniert. Seither ist sie ein beliebter Austragungsort unterschiedlichster Ausstellungs- und Veranstaltungsformate. 2013 ging sie in den Landesbesitz über und ist seit Januar 2017 das zehnte und jüngste Landesmuseum der Autonomen Provinz Südtirol.
Eine Festung so groß wie 9 Fußballfelder
Seit 1801 war der junge Erzherzog Johann, der Bruder von Kaiser Franz I., für den Festungsbau im Habsburger Reich zuständig. Seine Empfehlungen, die wichtigsten Durch- und Übergänge vom Inn bis zum Po zu sichern, blieben aber vorerst unbeachtet. Es war die Pariser Julirevolution von 1830, die den Freiheits- und Nationalbewegungen Europas neuen Schwung verlieh. Österreich bekam alle Hände voll zu tun, die immer wieder aufflammenden Aufstände in seinem Vielvölkerstaat unter Kontrolle zu halten, besonders in seinen Provinzen Lombardei und Venetien. Dadurch bekam auch das Thema Festungsbau wieder mehr Aufmerksamkeit am Hof und es mussten schleunigst konkrete Pläne zur Reichsbefestigung her.
Österreich, Preußen und rund 30 Kleinstaaten hatten sich nach dem Wiener Kongress von 1815 zum Deutschen Bund zusammengeschlossen, mit dem Ziel einen Festungsgürtel entlang des Rheins und in Norditalien zu errichten, um künftige Angriffe abzuwehren. Tirol, als westlichstes Kronland der Habsburgermonarchie und südlichstes Grenzland dieses Deutschen Bundes, war eine wichtige verkehrsgeografische und militärstrategische Achse zwischen Süddeutschland und Oberitalien.
Die Ideen Erzherzog Johanns kamen nun zum Zug. Franz von Scholl, der bereits 1824 zum Ausbau der Bundesfestung in Mainz berufen worden war, wurde nun auch mit dem Ausbau des Habsburger Festungsvierecks Verona-Mantua-Peschiera-Legnago, dem so genannten „Quadrilatero“ beauftragt. Zudem sollte er ein verschanztes Lager auf dem Natz-Schabser-Plateau, verstärkt durch einen Ring von zusätzlichen Befestigungen um das Brixner Becken planen, um alle umliegenden Talanschlüsse für einen feindlichen Durchmarsch hermetisch abzuschließen.
Die bereits 1833 begonnenen Arbeiten wurden auch trotz der fehlenden finanziellen Mittel nach dem Tod Franz I. im Jahre 1835 fortgesetzt. Das gigantische Vorhaben des verschanzten Lagers mit zusätzlichen Befestigungen im Brixner Raum wurde aber begraben. Durch Kaiser Ferdinand I. im August 1838 eingeweiht und vom Brixner Fürstbischof Galura auf den Namen „Franzen Feste“ getauft, blieb sie ein „liegender Löwe“ der bis heute auf seinen Feind wartet. Der Bau dürfte um die drei Millionen Gulden CM (Conventions-Münze) verschlungen haben. Für den unbedarften Kaiser Ferdinand I. wohl nicht nachvollziehbar, denn während der Einweihung soll er gefragt haben, ob die Franzensfeste aus Silber gebaut sei. Heute würde der Geldwert etwa 54 Millionen Euro entsprechen, die Bausumme läge aber deutlich höher.
Eine planerische Meisterleistung
Optimale Anpassung an das Gelände, große Feuerfronten gegen den Feind, bombensichere Geschützstellungen und Unterkünfte für Mensch und Material, Trennung der einzelnen Festungswerke durch Treppen oder Rampen, Innenverteidigung, bei der sich die Werke gegenseitig unterstützen konnten, mehrfache Sicherung aller äußeren Tore und Pforten usw. Doch für die Ausstattung mit militärischem Gerät wurde kein Geld mehr bewilligt. Obwohl immer wieder detailliert geplant, wurde keine Kanone im ursprünglichen Sinne installiert. Nur während der Kriege von 1848, 1859 und 1866 standen kurzzeitig einige Kanonen hinter den Mauerscharten. Sie verschwanden aber bald wieder, und das ursprünglich geplante Artilleriewerk verkam zum Depot, weil die Geschütze auf den Schlachtfeldern im Süden gebraucht wurden.
Statt 1.100 Artilleristen und Infanteristen versah nur noch eine Stammbesatzung von 70 Mann ihren Dienst als Wachen und Magazinierer. Immer wieder wurden auch Kompanien verschiedener Regimenter in ihren Räumen einquartiert, um auf einen Einsatz im Süden zu warten. In den Jahren des Ersten Weltkrieges wurde in der Franzensfeste auch ein Lazarett bzw. Marodenhaus eingerichtet. Ein unübersehbares Zeichen für die letzte Nutzung der Festung durch das italienische Militär als Waffen- und Munitionsdepot sind die mit Betonziegeln gedeckten Dächer, die mit Metallbändern abgedeckt sind, die entlang der Fassaden bis in den Boden reichen und nach dem Prinzip des Faradayschen Käfigs als Blitzschutz für die hochexplosive Munition dienten.
Auch wenn die Sperre keinen militärischen Angreifer abzuwehren hatte, so stand sie mit ihrem mächtigen Erscheinungsbild doch oft einem „Feind“ im Wege: dem Fortschritt. Dazu zählen der Bau der Brennerbahn 1864-1867, der Bau der Pustertalbahn 1870/71, deren Gleise direkt durch die Franzensfeste geführt wurden, der Bau der Staumauer, mit der 1940 ein See zur Stromerzeugung entstand, und der Autobahnbau Anfang der 1970er Jahre. All diese Eingriffe wirken sich bis heute auf die ursprüngliche Festung aus. So überflutet der Stausee immer wieder Teile der Festung und für die Verlegung der Bundesstraße musste ein Teil der Anlage untertunnelt werden.
Eine logistische Herausforderung
Alle benötigten Baumaterialien mussten aus allen Himmelsrichtungen mit Ochsen- und Pferdegespannen mit einer maximalen Nutzlast von je 800 kg und einer Geschwindigkeit von 2 bis 3 km/h herangeschafft werden. In Spitzenzeiten, so eine theoretische Hochrechnung, lieferten etwa 200 Fuhrwerke täglich mehrere hundert Fuhren an.
Eine Bauzeit von nur fünf Jahren war mangels moderner Baumaschinen nur mit großem Personalaufwand zu bewältigen. Je nach Jahreszeit arbeiteten 3.500 bis 5.000 Mann aus allen Teilen des Habsburgerreiches auf der damals größten Baustelle Europas. Zum Vergleich: Die Stadt Brixen hatte damals 3.000 Einwohnerinnen und Einwohner, Sterzing und Bruneck weniger als 2.000. Das Arbeitsheer bestand vor allem aus „Militärhandlangern“ aus den östlichen Provinzen der Monarchie, ergänzt durch Bausoldaten und zivile Bauhandwerker aus Tirol und Oberitalien. Die meisten waren in Barackenlagern zwischen Aicha und Mittewald untergebracht. Auch hier musste eine ausgeklügelte Logistik die Versorgung mit Lebensmitteln und Wasser sicherstellen.
Die Franzensfeste war Zeugin und Hüterin eines Schatzes
Am 16. Dezember 1943 wurde die Festung zum Hort eines gewaltigen Schatzes: In versiegelten Fässern und Kisten wurden 127,5 Tonnen italienisches Währungsgold in Form von Barren und Münzen in einem vorhandenen Felsstollen unter der Mittleren Festung eingelagert. Umgerechnet auf den heutigen Feingoldgehalt (März 2020) entspricht dies einem Wert von etwas mehr als 4 Milliarden Euro. Doch das Gold blieb nicht lange im Stollen. Bis zur Kapitulation der deutschen Wehrmacht in Italien am 3. Mai 1945 wurden insgesamt 102,5 Tonnen Gold abtransportiert. Zwei Lieferungen gingen „zur Finanzierung der gemeinsamen Kriegsführung“ nach Berlin zur Deutschen Reichsbank, eine dritte Partie landete bei zwei Schweizer Banken in Bern.
Die im Stollen verbliebenen 25 Tonnen Gold wurden im Mai von einer amerikanischen Infanterieeinheit beschlagnahmt und kurz darauf nach Rom gebracht.
Ein Großteil des italienischen Goldes wurde im April 1945 von Amerikanern in einem thüringischen Kalibergwerk entdeckt und sofort in einer Blitzaktion nach Frankfurt am Main gebracht. Etwas langwieriger gestaltete sich die Suche nach den acht Tonnen Goldmünzen, die Reichsaußenminister Ribbentrop von der ersten Goldlieferung nach Berlin „abgezweigt“ hatte. Doch spätestens im Juni 1945 konnte auch dieses Gold von den Alliierten an verschiedenen Orten in Norddeutschland und Österreich sichergestellt werden. Inzwischen gut dokumentiert, ließen lange nicht auffindbare Dokumente und verschlossene Archive die abenteuerlichsten Geschichten entstehen.
Die Festung als Erlebnisraum
Da sind zum Beispiel die Kasematten mit ihren Mauern aus Granit, dem Ziegelgewölbe und dem Holzfußboden. Oder die erst 1844 nachträglich gebaute Festungskapelle, die mit ihrem neugotischen Stil einen interessanten Kontrast zum funktionalen „Militärklassizismus“ der übrigen Festungsbauten bildet. Eine steile unterirdische Treppe, die mit 452 Stufen in das 90 m höher liegende Höhenwerk der Franzensfeste (Obere Festung) führt. In Europa einmalig und für die Besucher*innen immer wieder eine körperliche Herausforderung. Ein Offizierskasino, in dessen mit Wandfresken reich dekoriertem Speisesaal, die Gäste ein wenig „Habsburger Offiziersherrlichkeit“ nachempfinden können. Dann ein kleiner Obelisk, einer von sieben im damaligen Kaiserreich und der einzige, der bis 1920 im deutschsprachigen Österreich stand. Ein Hauptmesspunkt, der hier die genaue örtliche Höhe von 736,4520 m markiert und als Urmarke galt, von der aus das Habsburger Reich weiter vermessen wurde.